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Bei Fuß! vs. Leinenführigkeit

Oft wird das „Fußlaufen“ und die alltägliche Leinenführigkeit von Hundehaltern, aber auch Hundeschulen und Trainern in einen Topf geworfen. In Hundeschulen werden jede Menge Kurse und Methoden angeboten, wo es darum geht, wie der Hund am besten „trainiert“ wird, an lockerer Leine zu laufen.


Was mit den angebotenen Methoden jedoch hauptsächlich trainiert wird, ist das bei Fuß laufen als Bestandteil vieler Hundesportarten. Im Hundesport erfordert das bei Fuß laufen hohe Erregung und Erwartungshaltung beim Hund. Es ist laut Prüfungsordnung außerdem erforderlich, dass der Hund den Halter dabei die ganze Zeit ansieht. Am Schluss der Übung wird der Hund mit Spielzeug oder Leckerli belohnt.



Das Problem ist aber, dass wir im Alltag keinen Hundesport brauchen und auch ein sportlich geführter Hund im Alltag nicht bei Fuß geht. Die erwünschte hohe Erregung beim sportlichen Fuß gehen ist genau das, was wir im Alltag nicht wollen.


Das perfekte Bild eines leinenführigen Hundes


Im „Training“ der angebotenen Kurse wird meistens versucht, über Leckerli, Leinenruck, Stimme oder konditionierte Kommandos, das perfekte Bild eines leinenführigen Hundes herzustellen. Dabei läuft der Hund an lockerer Leine, ist durch nichts aus der Ruhe zu bringen, lässt sich nicht ablenken und ist komplett entspannt. Dieses perfekte Bild wird dann meist irgendeinem Equipment zugesprochen, also dem Halsband, dem Geschirr oder der Leine. Und ausschließlich unter Verwendung dieser Hilfsmittel funktioniert es dann mit der Leinenführigkeit – das hört man oft.


Leinenführigkeit als Training?


Aber was würde es bedeuten, wenn Leinenführigkeit „Training“ ist?

Training meint in der Regel einen Prozess, der einen Start und ein Ende hat. Aber wo wäre das Ende im gemeinsam durch die Welt gehen?


Wäre der Beginn des Gassigangs der Start und das nach Hause kommen das Ende? Bei einem einstündigen Spaziergang wäre das dann eine Stunde Training für den Hund – also viel zu viel, denn so lange kann sich kein Hund konzentrieren. Und was passiert dann, wenn wir die Leine abmachen?


Deshalb möchte ich in Frage stellen, ob Leinenführigkeit eine Trainingseinheit sein sollte, oder ob das Gehen an lockerer Leine nicht eher im Beziehungskontext und in der Frage der Führung anzusiedeln ist.


Bindung oder anbinden?


Wenn wir über Leinenführigkeit sprechen, müssen wir uns erst einmal fragen, was wir dem Hund eigentlich lernen möchten. Bringen wir dem Welpen oder Hund bei, dass er an der Leine neben uns laufen muss, stellt sich die Frage, was passiert, wenn wir die Leine abmachen? Es muss ja dann trotzdem irgendwas stattfinden, eine Art von Kommunikation oder Gemeinsamkeit bestehen bleiben. Und genau da liegt der Denkfehler, wenn es um mit Leckerli und Leinenruck konditionierte Leinenführigkeit geht, die aber nur mit dem „richtigen“ Equipment funktioniert. Die Leine ist eigentlich nur dazu da, um den Hund abzusichern, um Verkehrsunfälle oder andere Verletzungen zu vermeiden. Aber sie ist eben nur eine Leine und nichts, das Einfluss auf die Beziehung zwischen Mensch und Hund nehmen sollte. Leinenführigkeit kann demnach nur Beziehungsarbeit sein und kein Training mit gezielten Methoden.


Was war zuerst: Hund oder Leine?


Erst war der Hund, dann die Leine. Hunde folgten ihren Menschen aus eigener Motivation. Der Grund dafür war nicht, dass sie gedacht haben, dass Menschen die besten Leckerli haben. Futter war zwar sicherlich ein Faktor, aber es spielten noch viel mehr Faktoren in die Entscheidung beim Menschen zu bleiben. Dazu gehört Sicherheit! Die Menschen, die damals in irgendwelchen Lagern und Höhlen wohnten, haben den Hunden und Wölfen Sicherheit geboten. Dort konnten sie Unterschlupf suchen, es gab Ressourcen, Futter und warme, sichere Schlafplätze.


Mit Sicherheit an lockerer Leine


Sicherheit ist es auch, was sich unsere Hunde heute noch von uns beim Spaziergang wünschen. Sicherheit schafft Vertrauen und führt dazu, dass sich unsere Hunde besser entspannen können, wenn wir beim Gassigang andere Menschen und Hunde treffen oder der böse gelbe Sack wieder im Wind raschelnd vor allen Haustüren steht.


Unser Ziel muss es sein, dem Hund zu vermitteln, dass wir hier als Einheit unterwegs sind, in der wir als Halter für Schutz und Sicherheit sorgen. Es liegt in unserer Verantwortung, die Dinge zu regeln. Das heißt nicht, dass unsere Hunde ständig Angst haben, aber bei der Frage der Sicherheit geht es für Hunde und auch für Menschen um etwas Existenzielles und Fundamentales. Kann ich dem Hund nicht vermitteln, dass ich hier alles unter Kontrolle haben, wird er nervöser sein und versuchen, die Dinge (Menschen- und Hundebegegnungen) selbst zu regeln. Irgendeiner muss es ja schließlich tun.


Wenn der Hund an der Leine zieht - Missverständnisse & Interessenkonflikte


Oft sind es unterschiedliche Ansprüche und Erwartungen an einen Spaziergang, die wir Menschen und unsere Hunde haben. Hunde sind draußen, weil sie Dinge regeln und das Territorium erkunden. Wir sind draußen, um zu entspannen und die Natur zu genießen. Ein ziemlicher Interessenskonflikt.


Auch sollte man vor dem Weggehen darüber nachdenken, wie man sich heute fühlt. Hatte ich einen schlechten Tag in der Arbeit und bin gereizt? Hatte ich Streit mit meinem Partner? Bin ich im Krankenstand und sollte nicht gesehen werden? Hunde merken das und besonders sensible Hunde reagieren darauf mit Unruhe und Stress. Das wiederum führt dazu, dass sich unser Hund nicht an uns orientieren kann, weil wir in unserem emotionalen Zustand sicher nicht verlässlich für Sicherheit sorgen können. Auch hier kommt es dann zu Missverständnissen.


Anschauen und „Schau!“


Bei Hundebegegnungen ist es immer auch interessant zu beobachten, wie Hunde und Halter/innen kommunizieren. Oft sieht man eine Rückfrage in Form eines Blickkontakts von Seiten des Hundes. „Da kommt ein Problem, was machen wir?“ Es wäre nun am Halter, dem Hund das richtige zu kommunizieren, ihn einzuladen gemeinsam daran vorbeizugehen. Wird der Halter nervös und unsicher, zerrt er an der Leine oder bleibt er stehen, suggeriert er damit – natürlich unbewusst - dass er die Situation nicht unter Kontrolle hat. Ungewollt fällt die Aufgabe, die Dinge zu regeln, dann an den Hund, der je nach Typ dann in einer Form reagiert, die der Hundehalter als problematisch wahrnimmt.


Viele Hunde, die „problematisch“ reagieren, lernen in Hundeschulen das Kommando „Schau“. Natürlich kann man damit versuchen, einen Leinenpöbler durch schwierige Situationen zu locken. Denn aufs „Schau“ folgt immerhin ein Leckerli. Man kann auch Leckerli zur Ablenkung auf den Boden werfen oder den Hund mit einem Stückchen Käse an der Nase am Fremdhund vorbeiführen. Bei Hunden, die ein Thema mit Ressourcen haben, kann das die Situation jedoch sogar noch verschlimmern, weil der Hund dann zu allem Übel auch noch Verantwortung für das Stück Futter tragen muss. Andere Hunde wiederum sind so aufgeregt, dass sie sich nicht einmal mehr für Belohnung interessieren.


Langfristig wird der Einsatz von Leckerli das Problem also nicht lösen können, weil etwas fundamentales fehlt. Nämlich, dass du deinem Hund die Sicherheit und das Vertrauen vermittelst, die Dinge zu regeln.


Orientierung durch Körpersprache, Präsenz und Ausstrahlung


Kommunizieren wir artgerecht und hundesprachlich mit unseren Vierbeinern, verstehen sie schnell und einfach, was wir von ihnen wollen. Mit der richtigen Energie können wir die Sicherheit vermitteln, die es braucht, damit sich unsere Hunde gerne in unserer Nähe aufhalten und dankbar dafür sind, sich nicht um den Fremdhund kümmern zu müssen.


Natürliche Hundeerziehung braucht keine zuvor konditionierten Kommandos oder Signale, keine spezielle Leine und kein umleinen von Schleppleine auf Führleine und Brustschirr auf Halsband. Veränderung kann ganz schnell stattfinden, sobald wir Menschen gelernt haben, unsere Hunde zu verstehen und verständlich zu kommunizieren. Das andere Ende der Leine kann mehr bewirken als die Leine selbst!



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