top of page

🤯 Frustrationstoleranz

  • sabinekaho
  • 31. Mai 2024
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 4. Apr.

Frustrationstoleranz ist ein Teil der großen Überschrift Selbstregulation. Selbstregulation setzt sich aus verschiedenen Fähigkeiten zusammen, wozu auch Belohnungsaufschub und Impulskontrolle gehören.


Frust ist sowohl beim Menschen als auch bei Hunden eine natürliche Emotion. Es ist das Gefühl, das entsteht, wenn ein Bedürfnis nicht erfüllt wird. Lernen wir, mit Frust umzugehen, erlangen wir eine gewisse Frustrationstoleranz.


Frustrationstoleranz meint also die Fähigkeit, mit Enttäuschungen, Einschränkungen oder Verlusten umzugehen, ohne dabei von Gefühlen überwältigt zu werden. Sie hilft dem Hund entspannt und souverän durchs Leben zu gehen, weshalb es eine Fähigkeit ist, die er braucht, um zufrieden leben zu können. Es geht also um das weniger stark ausgeprägte Empfinden von Frust und darum, dass der Hund Dinge einfach weniger schlimm findet. Es geht nicht darum, Frust einfach nur besser ertragen zu können. Das wäre ein unangenehmer Zustand.


Gelingt es nicht, ein gewisses Maß an Frust auszuhalten, schränkt das die Lebensqualität unserer Hunde stark ein, denn was nicht auszuhalten ist, löst Wut, Angst, Trauer oder Aggression aus. Ein Hund mit einer schlechten Frustrationstoleranz ist von Kleinigkeiten schnell genervt und wird schneller wütend und ungeduldig, wenn es mal nicht so läuft, wie er sich das vorgestellt hatte. Hat er hingegen eine gute Frustrationstoleranz, kann er damit leben, ohne es mit viel emotionalem Aufwand einfach nur „ertragen“ zu müssen. Er findet es einfach halb so schlimm.


Frustrationstoleranz ist eine Fähigkeit, die man nicht über den klassischen Weg beibringen und belohnen kann, im Sinne von „Ich zeige dem Hund wie es geht, belohne, wenn er es gut macht und dann versteht er, dass Frustrationstoleranz gut für ihn ist“.  Es ist eine Fähigkeit, die durch das immer wieder erleben und damit auseinander setzen ein fixer Bestandteil der Persönlichkeit und Charakters des Hundes wird.


Einflussfaktoren

Es gibt verschiedene Faktoren, die beeinflussen, wie gut sich die Frustrationstoleranz eines Hundes ausprägen kann. Das maximal erreichbare Maß ist durch unterschiedliche Faktoren, wie Alter, Genetik, Rasse und Vorerfahrungen vorgegeben.


Das Alter

Frustrationstoleranz ist eine Basis-Fähigkeit, die Teil des Charakters und der Persönlichkeit eines erwachsenen Hundes wird. Da die Persönlichkeit eines Lebewesens immer bis zum Ende der Pubertät gebildet wird, ist die Zeit bis zum Ende der Pubertät der wichtigste Faktor, um eine gesunde Selbstregulation in die Erziehung einfließen zu lassen.

 

Sobald ein Lebewesen erwachsen ist, kann man eigentlich nicht mehr von Erziehung sprechen, weil die Persönlichkeitsentwicklung abgeschlossen ist. In diesem Fall würde man von einer Verhaltensänderung sprechen, die auch bei älteren oder zu früh kastrierten Hunden noch stattfinden kann – wenn auch mit mehr Aufwand. Auch ein erwachsener Hund kann immer wieder daran erinnert werden, sein Verhalten zu ändern, anzupassen oder sich zurückzunehmen. Dafür kann er Strategien entwickeln, die ihm helfen können, besser damit umgehen zu können. Die grundlegende Persönlichkeit würde das aber nicht verändern, sondern eben nur situatives Verhalten. Wenn eine Persönlichkeit fertig ausgebildet ist, bleibt sie im Großen und Ganzen so wie sie ist und man kann mit den Möglichkeiten weiter arbeiten, die man eben hat. Die Pubertät dauert aber länger, als oft angenommen wird. Sollte der Hund also 1,5 – 2 Jahre alt sein, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Übungen zur Frustrationstoleranz noch in den Prozess der Persönlichkeitsentwicklung fallen.  



Kastration

Die Pubertät wird durch Sexualhormone eingeleitet und aufrechterhalten. Diese hormonelle Entwicklung und die Umbauarbeiten im Gehirn des Hundes machen die Pubertät aus. Fallen diese Hormone weg, fällt auch die Pubertät weg. Unterbricht man den Prozess der Pubertät also durch eine Kastration, wird ein zu früh kastrierter Hund hinsichtlich seiner Selbstregulationsfähigkeiten immer unter den Möglichkeiten spielen, die er gehabt hätte, wenn er zu dieser Zeit nicht kastriert worden wäre. Wird vor Ende der Pubertät (1,5-3 Jahre) kastriert, kann man von Frühkastration sprechen, da der Hund zu diesem Zeitpunkt eben noch nicht erwachsen war. Der Prozess des Erwachsenwerden wird unterbrochen, egal ob es sich um eine chemische Kastration (z.B. Chip) oder eine operative Kastration handelt. Dennoch kann, wie oben erwähnt, auch der kastrierte Hund Strategien und Techniken entwickeln, um mit frustrierenden Situationen besser umgehen zu können – im Rahmen seiner Möglichkeiten eben.


Genetik

Je nach Rasse und Bestimmung gibt es angezüchtete Eigenschaften, die bestimmungsgemäß erwünscht oder weniger erwünscht sind. So ist es zum Beispiel bei Hüte- und Terrierrassen oder Herdenschutzhunden nicht gewünscht, dass sie zu hohe Frustrationstoleranz mitbringen, da sie sonst für ihre ursprünglichen Aufgaben nicht geeignet gewesen wären. Um diese Jobs zu machen, braucht der Hund eine schlechte Frustrationstoleranz. Er soll schnell genervt sein und sich an Dingen stören. Würde es z.B. den Herdenschutzhund nicht stören, wenn irgendwo etwas raschelt, würde er nicht nachschauen gehen und damit wäre er für seinen Job nicht geeignet. Diese Rassen ist also genetisch bedingt von Haus aus mit einer eher schlechten Frustrationstoleranz ausgestattet.

 

Im Gegensatz dazu war der Grundgedanke bei der Zucht vielen Retriever-Rassen, dass sie eine möglichst hohe Frustrationstoleranz haben. Sie sollten apportieren, bei jedem Wetter ins Wasser, schwimmen, dürfen das, was sie holen aber weder schütteln, noch darauf herumkauen, sondern müssen es stattdessen abgeben und danach trotzdem freundlich und locker weiter ihrer Arbeit nachgehen. Wären sie davon genervt, würden sie keine Ente mehr aus dem Wasser apportieren und wären für diesen Job nicht geeignet.


Aufwachsen

Es beginnt schon bei der Mutterhündin im Bauch. Hatte sie z.B. viel Stress, während sie die Welpen ausgetragen hat, kann es sein, dass die Welpen nicht so viele Möglichkeiten haben, Selbstregulation zu entwickeln.

 

Danach spielen die ersten Lebenstage und -wochen eine Rolle. Die ersten Erfahrungen, die Frustrationstoleranz stärken wären zum Beispiel, dass die Mutterhündin nicht genug Zitzen für alle Welpen hat und deshalb ein Welpe mal warten muss. Vielleicht sind auch nicht überall Wärmelampen aufgestellt und wenn dem kleinen Welpen dann kalt ist, muss er erst mal zu seinen Geschwister robben, bevor es besser wird. Auch andere erwachsene Hunde im Haushalt beim Züchter könnten erzieherisch mitwirken und Grenzen setzen, die beim kleinen Welpen Frust auslösen.



Reaktionen auf Frust

Wenn ein Bedürfnis nicht erfüllt wird, ärgert man sich. Es entsteht Frust.

Frust löst immer Stress aus, gepaart mit Wut, Angst, Trauer oder Aggression. Wie Frust gezeigt wird, ist persönlichkeitsabhängig. Viele Hunde, die über eine niedrige Frustrationstoleranz verfügen, werden versuchen, die Situation in irgendeiner Form zu verändern. Das kann aufforderndes Verhalten sein, wie übermäßiges Bellen, in die Leine springen, in die Leine beißen, jammern in hoher Stimmlage oder ein sich aus der Situation befreien wollen, indem versucht wird, Türen zu öffnen, an Türen zu kauen, zu nagen oder zu kratzen, Boxen zu öffnen etc. Je nachdem, wer dann gerade im Weg ist, kann sich eine entstehende Aggression auch mal gegen Menschen oder andere Hunde richten. Es gibt aber auch Persönlichkeiten, die den Frust eher in sich hineinfressen, leiser dabei sind. Das heißt jedoch nicht, dass sie weniger Frust empfinden.

 

Nicht jedes unerwünschte Verhalten ist automatisch auf eine niedrige Frustrationstoleranz zurückzuführen, deshalb ist es immer wichtig, den gesamten Kontext im Blick zu haben.

 

 

Keine Frustrationstoleranz ohne Frust


Unsere heutigen Haushunde sind zum Glück sehr wenig Frust ausgesetzt. Sie haben es warm und trocken, müssen sich nicht um ihr Futter kümmern, müssen weder unter Kälte oder Hitze leiden und wenn sie krank sind, werden sie gesund gepflegt. Dadurch erleben unsere Hunde aber auf natürliche Weise kaum Frust. Um übermäßigem Stress und anderem unerwünschten Verhalten vorzubeugen ist es sinnvoll, seinen Hund deshalb gezielt frustrierenden Situationen auszusetzen. Ein bewusstes Erlernen von Frustrationstoleranz sollte bereits im Welpenalter stattfinden. Dazu braucht es keine speziellen Übungen, sondern einfach nur Situationen, in denen der Welpe etwas nicht darf und auch nicht "entschädigt" wird oder die Situation verändert wird, sodass sie weniger frustrierend ist.


Da die Fähigkeit, adäquat mit Frust umzugehen kein kognitiver Lernprozess ist, kann Frustrationstoleranz auch nicht durch Verstehen, sondern nur durch Erfahren gelernt und verbessert werden. Ein Hund, der nie in Situationen gebracht wird, wo er Frust ausgesetzt ist, wird keine Frustrationstoleranz erlernen. Denn um Frustrationstoleranz zu erwerben, muss der Hund Frust erleben und diesen mit Hilfe eigener körperlicher Funktionen verarbeiten dürfen – obwohl die Situation unverändert bleibt. Das heißt ohne, dass jemand versucht, die Situation zu verbessern oder von außen irgendwie einzuwirken. Man kann also nicht belohnen, dass der Hund Frustrationstoleranz erlernt. Es ist ein Prozess, den der Hund allein schaffen muss und die große Aufgabe für den Menschen liegt darin, dem Hund zwar beizustehen, ihn aber ein bisschen in Ruhe zu lassen und zu warten, bis er aus eigenen Stücken wieder mit der Situation zurechtkommt.  


Leider passiert es häufig, dass Menschen ihrem Hund jeden Wunsch erfüllen möchten, um ihn nicht zu enttäuschen. Natürlich ist ein Leben voller Enttäuschungen nicht erfüllend, aber alle Bedürfnisse jederzeit und sofort erfüllt zu bekommen, raubt ebenso Lebensqualität. Denn Hunde, die gelernt haben, dass alle Bedürfnisse und Forderungen umgehend erfüllt werden, leiden früher oder später unter starkem Stress. Die Situation, in der wir unserem Hund etwas nicht erlauben können, wird kommen. Sei es ein Hase, den der Hund gerne jagen würde oder ein Postbote, den er gerne fressen würde. Haben Hunde nie gelernt, dass sie ihre Bedürfnisse auch mal zurückstellen müssen, ohne dass die Situation verändert oder verbessert wird, werden sie unweigerlich durch das Nicht-Erfüllen des Bedürfnisses gestresst sein.



Grote M. (2024): Frustrationstoleranz


Engelstädter V. (2022): Resilienz bei Hunden. Für einen gelassenen Umgang mit Konflikten und Stress.

 
 

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page